Bilder, die so groß sind, dass man sich beim Betrachten geradezu darin verliert: Nora Mona Bach macht mit ihrer Kunst keine halben Sachen. Für ihre beeindruckenden Arbeiten wurde sie jüngst mit dem Kunstpreis des Landes Sachsen-Anhalt ausgezeichnet. Ein Gespräch über das Kunststudium an der Burg Giebichenstein, die Grenzen, Herausforderungen und Möglichkeiten der Kohlezeichnung – und wieso künstlerische Bildung schon im Kindesalter wichtig ist.

Wie sind Sie mit Kunst in Berührung gekommen?

Nora Mona Bach: Den Anfang hat mein Vater gemacht: Wir hatten immer etwas zum Zeichnen dabei, das war Teil unserer gemeinsamen Zeit als Familie. Es war wichtig sich Zeit zu nehmen, genau hinzuschauen und offen dafür zu bleiben, Dinge zu sehen. In der Schule war ich im Kunst-Leistungskurs, weil ich schnell verstanden habe, dass die Bildende Kunst mir als Sprache liegt. Ich habe mich damals schon vor dem Abi an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein beworben – und wurde direkt beim ersten Versuch angenommen.

Heute sind großformatige Kohlezeichnungen Ihr Alleinstellungsmerkmal – dabei arbeiten Sie nicht mit Kohlestücken oder -stiften, sondern mit Reißkohlepulver. Warum ausgerechnet dieses Medium?

An der BURG habe ich mich viel mit Lithografie, dem Steindruck, beschäftigt. Schon da habe ich viele sehr dunkle Arbeiten angefertigt und gerne mit großen Flächen in Schwarz, Weiß und Grau gearbeitet. Lithografie ist ein sehr komplexes Handwerk und absolut werkstattgebunden: Man kann zeichnerisch und malerisch in verschiedenen Ebenen Farben oder Grauwerte aufbauen. Der Druckprozess wird von einem beinahe alchemistischen Vorgang begleitet, man benötigt Wissen und Kraft. Diese Arbeitsweise kam mir sehr entgegen – aber man ist immer auf die Steingröße beschränkt. Die klassische Kohlezeichnung mit Kohlestücken war für mich keine Alternative. Damit kann man zwar von Weitem eine schöne, brachiale Wirkung erzeugen, aber von Nahem wirken diese Zeichnungen auf mich immer ein wenig spröde und ausgefranst. Eher zufällig habe ich dann das Reißkohlepulver für mich entdeckt und habe angefangen, damit zu experimentieren.

Was macht die Arbeit mit Reißkohlepulver so spannend?

Die Kohle ist in dieser Form sehr vielfältig. Man kann sehr feine Grauwerte erarbeiten. Mit Wasser angerührt lässt sich die Kohle fast wie Tusche verwenden, in Pulverform kann man sie flächig auf- und sehr kontrolliert wieder abtragen. Damit kann ich Arbeiten anfertigen, die wie doppelbelichtete Fotos wirken, strukturreiche Malereien oder feine Aquarellzeichnungen. Und in der Arbeitsweise kommt hinzu: Solang man kein Fixiermittel verwendet, bleibt das Pulver in Bewegung, die Flächen sind verletzlich und steuerbar. Das ist natürlich auch eine Herausforderung, kommt meiner Arbeitsweise aber sehr entgegen.

Was inspiriert Sie zu Ihren oft mehrere Meter großen Zeichnungen?

Diese großen Formate machen einen ganz eigenen Erlebnisraum auf. Wenn man vor einem Motiv steht, das größer ist als man selbst, das fast wie eine Bühne das gesamte Sehfeld einnimmt – diesen Moment schätze ich sehr. Aber es ist auch inhaltlich spannend. Ich begegne zum Beispiel immer wieder der Frage, ob meine Motive Landschaften sind. Wir Menschen neigen ja dazu, in allem, was ein bisschen abstrakter ist, nach Dingen zu suchen, die wir wiedererkennen. Das gilt auch für meine Arbeiten. Manchmal spielt aber auch die Freude am Material die größte Rolle. Man kann die Kohle so dicht aufs Papier aufbringen, dass sie fast erdig wirkt. Das ist für mich auch ein Gegenentwurf zu den glatten und oft digitalen Flächen, auf denen sich unser Leben immer mehr abspielt. Denn: Wer mit Reißkohlepulver zeichnet, wird dreckig. Da rieselt immer Material ab. Das ist schon etwas anderes als NFTs und Renderings. Es ist aber auch ein Gegengewicht zu Objekten des Alltags, die nicht direkt mit Kunst zu tun haben, aber unser ästhetisches Umfeld in der Post-Postmoderne bilden, zum Beispiel Smartphones, Kunstschalungen, Autolack oder Herdoberflächen, die man nur noch mit Fingertippen bedient. Kohle ist zudem ein sehr ursprüngliches Material und bietet gerade deshalb einen spannenden Kontrast.

Kann Kunst also auch einen Einfluss auf größere gesellschaftliche Prozesse haben?

Ja, denn Kunst ist ein wunderbares Medium, um sich selbst zu erleben und zu lernen, sich auf neue Themen einzulassen. Ich glaube aber, dass die Sensibilisierung für Kunst schon im Kindesalter stattfinden sollte. Im Moment wird Kunst und Kunstpädagogik vor allem von Menschen konsumiert, die die finanziellen Mittel dazu haben. Da geht noch viel mehr. Ich erlebe das auch immer wieder selbst: Ich engagiere mich im Künstlerhaus 188, einer Begegnungsstätte für Kunstschaffende und Kunstinteressierte in Halle an der Saale. Wenn wir dort Besuch von Schulklassen aus Brennpunktschulen bekommen, schlackern den Kindern regelrecht die Ohren. Da können sie oft zum ersten Mal frei von den wahrscheinlich notwendigen Zwängen eines schulischen Settings gestalterisch tätig werden, ohne dass sie links und rechts andere Kinder mit den Ellbogen anstoßen. Viele der Kinder und Jugendlichen erleben sich völlig anders: Sie trauen sich Dinge zu, fühlen Selbstwirksamkeit, nehmen neue Rollen ein. Solche Räume, die Kunst für alle erlebbar machen und Zugänge zur Kunst schaffen, brauchen mehr Unterstützung! 

Welche Rolle spielen externe Faktoren für Ihre Kunst?

Ganz grundlegenden Einfluss hat mein Arbeitsraum: Wenn ich mehr Platz habe, vor allem mehr Wandfläche, kann ich auch großflächig arbeiten. Ich stelle immer wieder fest, dass ich diese Großzügigkeit brauche, sowohl in meinen Arbeitsräumen als auch im Umgang mit dem Material. Und ich bringe natürlich emotionale Eindrücke mit in meine Arbeit. Sie ist ein Konglomerat aus allem, was ich sehe und erlebe.

Wie sieht Ihr Arbeitsprozess aus? Wie wird aus Ihrer ersten Idee ein fertiges Kunstwerk?

Zunächst muss ich mir selbst im Prozess zwei sehr konkrete Fragen beantworten. Erstens: Wie groß ist das Endformat, wie viel Papier muss ich also zuschneiden? Zweitens: Wie viel Dunkelheit lege ich von Anfang an fest? Kompositorisch sind damit zwei wichtige Entscheidungen schon getroffen. Der Rest passiert im Prozess: Ich fange mit einer Grundstimmung an. Große Arbeiten liegen am Anfang auf dem Boden. Da briinge ich das Reißkohlepulver großflächig aufs Papier. Das ist eine sehr körperliche Arbeit, ich trage eine FFP3-Maske zum Schutz vor Kohlestaub und Fixativ und benutze einen großen Saalbesen, um das Kohlepulver zu verteilen. Dann fixiere ich diese ersten Flächen und kann das Bild an die Wand hängen. An der Wand sehe ich die Arbeit aus einer ganz anderen Perspektive, kann zum Beispiel zurücktreten und die Grundkomposition auf mich wirken lassen. Ich arbeite meistens an mehreren Bildern gleichzeitig, weil es mir guttut, zwischendurch Abstand zu gewinnen. Es kommt auch vor, dass ich Bilder, die schon an der Wand hängen, um 180 Grad drehe und damit weiterarbeite. Großzügigkeit, Flexibilität und Gelassenheit sind wichtige Begleiter, wenn man den Zufall freundlich beherrschen möchte und sich gegen Vorskizzen entscheidet.

Sie haben jüngst den Kunstpreis des Landes Sachsen-Anhalt gewonnen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Das kam für mich sehr überraschend. Der Kunstpreis wird sonst vor allem für Lebenswerke vergeben, inzwischen immer abwechselnd für Lebenswerke und für Künstlerinnen und Künstler, deren Arbeiten jetzt gesehen werden sollen. Darum wird er in meinem Fall auch als Förderpreis bezeichnet. Die Auszeichnung ist schon ein kleiner Ritterschlag. Menschlich ist es auch schön, weil man sich nicht auf den Preis bewerben kann: Dass ich ausgezeichnet wurde bedeutet also auch, dass meine Arbeit wahrgenommen wird. Wenn ich am Anfang unseres Interviews erwähnt habe, dass die Kunst mir früh im Leben als Sprache taugt, ist es nun eine große Ehre, dass meine Sprache auch bei anderen auf Resonanz trifft. 

Vom 15. Mai bis 9. Juni 2025 stellen Sie Ihre Arbeiten im Volkspark Halle aus. Worauf können sich Besucherinnen und Besucher besonders freuen?

Für meine Preisträgerinnenaustellung bietet der Volkspark zwei sehr große schöne Ausstellungsräume. Dort habe ich nicht nur großzügige Wandflächen, sondern auch viel Platz im Raum zur Verfügung, das verleitet zum Spiel. Ich möchte dort zum Beispiel meine Arbeit „GLIMMEN – Unland-Triptychon“ (Gesamtmaß 370 x 960 cm) zeigen, die innerhalb des Arbeitsstipendiums 2016 der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt entstanden ist. Sie besteht aus vier Teilen und ist so groß, dass ich sie nicht oft ausstellen kann. Ich habe auch Zeichnungen, aus denen einzelne Teile wie Cut-outs heraussplittern, die also nicht nur in klassischen rechteckigen Bildbegrenzungen arbeiten, sondern in den Raum hinein reichen. In den großzügigen Räumen der Burg Galerie im Volkspark kann man sehr nah an die Kunst herantreten, aber auch sehr weit weggehen und sich so in den Bildern verlieren. Außerdem wird es ein Rahmenprogramm geben mit Künstlerinnengespächen und Einblicken in die Produktion von Künstlerkatalogen. Anlass ist hierfür das Erscheinen meines Kataloges Metamorphit im MMKoehn Verlag aus Leipzig. Das Kunstbuch ist ein besonderes Medium, schafft Sichtbarkeit und Wertschätzung und ist ein ganz intimer Raum, der meine großformatigen Arbeiten in Form eines Buches auffängt. Es warten also nicht nur künstlerische Arbeiten, sondern auch andere Impulse!
Außerdem wird es natürlich eine wunderbare Eröffnung geben.

Mehr zu Nora Mona Bach erfahren Sie auf https://nora-mona-bach.com/. Mehr Informationen zum Künstlerhaus 188 gibt es auf https://www.kuenstlerhaus188.de/

Aktuelle und kommende Ausstellungen von Nora Mona Bach:

MADONNEN – zeitgenössische Madonnenbildnisse
30.November 2024 – 4. Januar 2025
Galerie Paul Scherzer, Halle (Saale)

Spinnereirundgang 11./12. Januar 2025
Spinnerei Leipzig

Nora Mona Bach | METAMORPHIT

6. März – 26. April 2025

Galerie Born, Berlin

Foto: Linda Grüneberg

Spätestens seit dem Release von ChatGPT ist der Begriff der Künstlichen Intelligenz in aller Munde. Aber was zeichnet eine KI aus? Und wie hängt das mit Maschinellem Lernen zusammen? Prof. Sebastian von Enzberg richtet an der Hochschule Magdeburg-Stendal den Fokus auf Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Technische Informatik.

Im Podcast sprechen Sebastian und Host Steffen über die Chancen und Risiken der Fortschritte in den Bereichen Maschinelles Lernen und KI. Dabei beleuchten sie die individuellen Herausforderungen in der Wissensvermittlung und -aneignung in diesem Feld, aber auch die möglichen gesellschaftlichen Dimensionen solcher massiver technischer Transformationen.

Mit ZAKKI und KITT finden sich an der Hochschule Magdeburg-Stendal gleich zwei Projekte, die sich tiefergehend mit diesen Entwicklungen befassen. Was sich hinter den Kurzbezeichnungen verbirgt und warum solche und vergleichbare Projekte wichtig für den Hochschulstandort sind, erfahrt ihr in dieser Folge.

Prof. Dr.-Ing. Sebastian von Enzberg ist Experte in der Forschung und der praktischen Anwendung. Nach dem Studium an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (OVGU) war er unter anderem als Senior-Experte Industrial Data Science am Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM in Paderborn tätig. 2018 folgte die Promotion an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik an der OVGU. Seit November 2023 widmet sich Sebastian dem Themenfeld der Künstliche Intelligenz und der Technischen Informatik im Rahmen seiner Professur an der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Foto: KNO

Spätestens seit dem Release von ChatGPT ist der Begriff der Künstlichen Intelligenz in aller Munde. Aber was zeichnet eine KI aus? Und wie hängt das mit Maschinellem Lernen zusammen? Prof. Dr.-Ing. Sebastian von Enzberg ist Experte auf diesem Gebiet – in der Forschung und der praktischen Anwendung.

Seit November 2023 widmet sich Sebastian dem Themenfeld der Künstliche Intelligenz und der Technischen Informatik im Rahmen seiner Professur an der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Im Podcast sprechen Sebastian und Host Steffen über die Chancen und Risiken der Fortschritte in den Bereichen Maschinelles Lernen und KI. Dabei beleuchten sie die individuellen Herausforderungen in der Wissensvermittlung und -aneignung in diesem Feld, aber auch die möglichen gesellschaftlichen Dimensionen solcher massiver technischer Transformationen.

Mit ZAKKI und KITT finden sich an der Hochschule Magdeburg-Stendal gleich zwei Projekte, die sich tiefergehend mit diesen Entwicklungen befassen. Was sich hinter den Kurzbezeichnungen verbirgt und warum solche und vergleichbare Projekte wichtig für den Hochschulstandort sind, erfahrt ihr in der aktuellen Folge.

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Foto: KNO

Die Mitteldeutsche Medienförderung (MDM) hat eine eigene Förderrichtlinie für Games verabschiedet. Sie soll zum 1. Januar 2025 in Kraft treten, das wurde anlässlich des Jahresabschlussempfangs der MDM in Leipzig verkündet.

Mit einer eigenen Richtlinie öffnet die MDM ihre Games-Förderung für vielfältigere Inhalte als bisher. Neu ist, dass Games bereits in den Stadien Konzeptentwicklung und Storyworld-Entwicklung (jeweils bis zu 30.000 Euro als Zuschuss) gefördert werden können. Auch Projekt- bzw. Prototypentwicklungen können nun bis 100.000 Euro als Zuschuss und bis 200.000 Euro als Darlehen beantragt werden. Die Produktionsförderung von Games ist dann bis zu einer Höhe von 600.000 Euro möglich.

Die Games-Richtlinie steht online unter www.mdm-online.de. Beratungen für Anträge können ab Januar 2025 vereinbart werden, eine Einreichung ist erstmals für die Vergabesitzung am 28. Mai 2025 mit Einreichfrist 17. März 2025 möglich.

Sophia Reißenweber von der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle wurde beim Bundespreises Ecodesign 2024 für ihr Projekt „Break-up Lab“ in der Nachwuchskategorie ausgezeichnet. Ihr Konzept zur Optimierung von Recyclingprozessen zeigt neue Wege für nachhaltige Materialnutzung.

Sophia gehörte 2023 auch zu den kreativen Köpfen, die für den BESTFORM AWARD. Kreativpreis des Landes Sachsen-Anhalt nominiert waren.

 In diesem Jahr sind mehr als 400 Einreichungen eingegangen – ein Rekord. Neben einem Sonderpreis für „Zeitloses Design“ gehen die Preise dieses Jahr überwiegend an Innovationen aus den Bereichen Materialeinsparung und Recyclingprozesse.

Das Bundesumweltministerium und das Umweltbundesamt loben den Bundespreis Ecodesign seit 2012 jährlich gemeinsam mit dem Internationalen Design Zentrum Berlin aus. Der Wettbewerb zeichnet in den vier Kategorien Produkt, Service, Konzept und Nachwuchs herausragende Arbeiten aus, die aus Umwelt- und Designsicht überzeugen. Er richtet sich an Unternehmen aller Größen und Branchen sowie Studierende in ganz Europa. Gesucht werden langlebige und kreislauffähige Produkte, Prozesse und Systeme, die zur Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Der Wettbewerb soll am 20. Januar 2025 in die nächste Runde gehen.

Eine BURG-Studentin gewinnt beim Bundespreis Ecodesign 2024. Sophia Reißenweber von der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle erhielt für ihr Projekt „Break-up Lab“, das Recyclingprozesse neu denkt, den Preis in der Kategorie Nachwuchs. Sie gehörte 2023 auch zu den Nominierten des BESTFORM AWARD 2023.

Mit mehr als 400 Einreichungen hat der Bundespreis Ecodesign dieses Jahr einen neuen Rekord erreicht. 22 Projekte hatten es in die engere Auswahl für die begehrte Auszeichnung geschafft.

Der Bundespreis Ecodesign ehrt Designerinnen und Designer, Unternehmen und Studierende aus Deutschland und Europa, die mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft leisten. Der Wettbewerb wird seit 2012 jährlich durch das Bundesumweltministerium und das Umweltbundesamt in Kooperation mit dem Internationalen Design Zentrum Berlin ausgelobt.

Foto: IDZ, Sophia Reißenweber

Der Magdeburger Autor Domenico Müllensiefen war schon Telekom-Techniker, Bauleiter und Bestatter. Inzwischen hat er seinen zweiten Roman veröffentlicht, arbeitet am Drehbuch für den ersten und war Gastdozent an einer Universität in den USA. Ein Gespräch über das Leben zwischen Handwerk und Universität, den Einstieg in die Literatur – und was Erfolg eigentlich bedeutet.

Mit dem Schreiben fing Domenico Müllensiefen schon in der Schulzeit an. Dass er einmal davon leben könnte, hat er selbst jedoch wohl am allerwenigsten erwartet: Sein erster Roman „Aus unseren Feuern“ von 2022 war direkt ein Bestseller. Im August 2024 folgte „Schnall dich an, es geht los“. Dorthin führte ihn ein bunter Lebensweg: Nach dem Realschulabschluss und der Ausbildung zum Systemelektroniker in Magdeburg arbeitete er zunächst in Leipzig. 2010 bewarb er sich zum ersten Mal am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, nach dem zweiten Versuch wurde er 2011 angenommen. 2016 schloss er das Studium mit einem Master im Fach Literarisches Schreiben ab. Sein Leben heute: Auszeichnungen, Einladungen als Gastdozent, Auftritte auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt.

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Domenico Müllensiefen: Da gab es drei entscheidende Momente. Angefangen hat es in der neunten oder zehnten Klasse, da habe ich viel nebenbei geschrieben. Jahre später fragte mich dann mein Großvater: ,Warum schreibst du eigentlich nicht mehr?‘ Ich war Anfang 20 und hatte ganz andere Dinge im Kopf, aber dass er sich daran erinnert hat, das ist mir immer im Gedächtnis geblieben. Kurz nach diesem Gespräch hatte ich einen Job in Leipzig, bei dem es nichts zu tun gab. In der Zeit, die ich da absaß, habe ich wieder geschrieben. Und dann ist meine allererste Beziehung in die Brüche gegangen. Da habe ich geschrieben, um mich abzulenken, eine Art literarisches Tagebuch mit viel Fiktion. Irgendwann war es normal, dass ich von der Arbeit nach Hause kam und erst einmal eine Stunde an literarischen Texten gearbeitet habe. Es war mir gar nicht bewusst, aber Schreiben war für mich Selbsttherapie.

Wann haben Sie sich entschieden, daraus einen Beruf zu machen?

Ich habe nie einen Moment gehabt, in dem ich gesagt habe, ich muss Schriftsteller werden. Ich habe den Autor Steffen Mohr kennengelernt; er hat mir gesagt, ich solle unbedingt am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig Literarisches Schreiben studieren. Da war der Wunsch zumindest da, mehr daraus zu machen. Das hat übrigens auch in meinem Elternhaus große Konflikte ausgelöst: Ich hatte meine Ausbildung abgeschlossen, stand endlich in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis, meine Zukunft war einigermaßen gesichert. Und dann entschied ich mich, Literatur zu studieren. Ich wusste: Ich wollte mein Leben nicht an einer Lohnarbeit ausrichten, die mir eigentlich nichts bedeutet. Die persönliche Entwicklung war mir wichtiger. Die konkrete Entscheidung kam in diesem Jahr. Ich hatte eine Zeit lang zwei Einnahmequellen, als Bauleiter und als Schriftsteller, und dieses Jahr habe ich beschlossen, es tatsächlich zu versuchen. Ich bin meinem jüngeren Ich dankbar für den Mut, eine Festanstellung zu kündigen, um Literatur zu studieren.

Sie sind ausgebildeter Systemelektroniker, haben auf dem Bau und als Bestatter gearbeitet. Sie haben aber auch einen Masterabschluss vom Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Wie fühlt sich das Leben zwischen akademischem und proletarischen Umfeld an?

Ich fühle mich in beiden Welten zu Hause und doch auch wieder völlig fremd – im proletarischen Umfeld wie im akademischen. Wenn ich im akademischen Umfeld unterwegs bin, kommt ab und zu die Demut hoch: Wo ist eigentlich der Handwerker in mir hin? Und wenn ich im proletarischen Umfeld unterwegs war, hatte ich oft das Gefühl: Ich kann mehr. Man könnte das jetzt so verstehen, als hielte ich mich für etwas Besseres. Aber das bin ich nicht. Das habe ich mir auch immer wieder klargemacht: Wenn ich etwas Besseres wäre, wäre ich vielleicht gar nicht so weit gekommen. Und ich möchte mir auch nicht anmaßen, in Kategorien wie ,besser´ oder ,wertvoller‘ zu denken. Die gibt es nicht. Es gibt harte Arbeit, die muss gemacht werden, und die ist wichtig.

Sowohl Ihr erster Roman „Aus unseren Feuern“ als auch Ihr neues Werk „Schnall dich an, es geht los“ erfreuen sich bester Kritiken, Sie haben mehrere Auszeichnungen gewonnen. Was bedeutet dieser Erfolg für Sie und wie gehen Sie damit um?

Ich genieße den Erfolg, bin ihm gegenüber aber auch sehr demütig. Vor ein, zwei Jahren war ich bei einer Veranstaltung im Literaturinstitut. Dort gibt es gläserne Vitrinen, in denen all die Bücher stehen, die die Studierenden des Instituts veröffentlicht haben. Die habe ich als Student mit neidischer Attitüde verachtet. Und dann stand ich wieder vor dieser einen Vitrine und sah mein Buch, und dann habe ich geweint. Ich habe gedacht: Jetzt gehörst du dazu, jetzt bist du in diesem Schrank eingesperrt – jetzt müsste das zweite daneben stehen. Es hat lange gedauert, bis ich einen Verlag gefunden habe. Es war gar nicht so leicht, Gehör zu finden. Und dann hatte ich Anfang 2023 auf einmal alle meine Ziele erreicht – das war auch eine merkwürdige Situation. Ich hatte meinen ersten Roman draußen, ich wusste, eine Verfilmung ist in Planung, das Ding kommt auf die Theaterbühne, ich hatte Preise gewonnen – das war merkwürdig. Man wünscht es sich, man arbeitet darauf hin, aber man rechnet nicht damit. Ich lebe gerade mein Wunschleben. Wenn es richtig gut läuft, kann ich so für den Rest meines Lebens mein Geld verdienen. Und wenn es irgendwann nicht mehr so ist, dann wünsche ich mir, und das erwarte ich auch von mir, dass es dann für mich okay ist.

„Schnall dich an, es geht los“ ist im August 2024 erschienen. Wie hat sich Ihr Schreibprozess im Vergleich zu Ihrem ersten Roman verändert? Inwiefern hat Sie der Erfolg Ihres Erstlings dabei beeinflusst?

Der Schreibprozess an sich hat sich grundlegend geändert und ist doch gleich geblieben. Bei meinem zweiten Roman wusste ich sofort: Das Ding wird gedruckt. Das ändert einiges im Kopf. Ich habe mich entschieden, meine Lohnarbeit aufzugeben und einen Arbeitsraum zu mieten. Ich habe viel früher mit meinem Verleger gesprochen, der auch mein Lektor ist. Aber ich habe mich auch gefragt: ,Kann ich die Qualität meines ersten Romans nochmal erreichen, schaffe ich das überhaupt?‘ Und dann dachte ich mir: ,Wieso sollte ich mich damit beschäftigen?‘ Ich habe ,Aus unseren Feuern‘ nicht geschrieben, weil ich Preise gewinnen oder nach Amerika kommen wollte. Ich habe es geschrieben, weil ich eine Geschichte erzählen wollte. Diese Motivation habe ich versucht, aufrecht zu erhalten.

Ostdeutschland spielt in Ihren Romanen eine zentrale Rolle. Welchen Einfluss haben Ihre Biografie und Ihre Erfahrungen als Ostdeutscher auf Ihr Schreiben?

Es ist wichtig für mich, dass ich über die Dinge schreibe, die ich erlebt und gesehen habe. Ich habe das große Glück, als Handwerker und als Bestatter gearbeitet zu haben. Ich war in tausenden Wohnungen, wo ich Menschen in allen Situationen erlebt habe. Wenn man sich als Schriftsteller bei Leuten ankündigt, dann räumen sie auf, bereiten Kaffee und Kuchen vor und überlegen sich, was sie sagen wollen. Wenn ich aber als Handwerker irgendwo auftauche, erzählen mir die Menschen alles. Ich bin meiner Heimat dafür sehr dankbar. Wenn wir von Ostdeutschland sprechen, geht es um die Einsamkeit in Brandenburg, um die Schönheit Mecklenburg-Vorpommerns, um die Schrulligkeit der Sachsen, aber von Sachsen-Anhalt spricht niemand. Ich glaube: Es ist besprechenswert. Es ist lohnenswert, sich das alles anzugucken und sich mit den Leuten zu unterhalten. Das ist auch mir persönlich wichtig: Ich bin immer erstmal bereit, zuzuhören und mich dabei zurückzunehmen.

Sie waren im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse zu Gast. Wie haben Sie die Buchmesse erlebt?

Es war schön und aufregend. Man huscht von Stand zu Stand, trifft einen Haufen Leute, manchmal weiß man gar nicht, wen man vor sich hat. Aber Frankfurt ist auch für mich persönlich ein aufwühlender Ort: Ich hatte 2010 dort eine lange Baustelle. Ich bin montags um drei Uhr morgens aufgestanden, habe um vier den ersten Kollegen abgeholt, um fünf den letzten, um acht oder um neun Uhr morgens waren wir in Frankfurt. Wir haben immer dieselben Leute getroffen, standen zusammen an den Tankstellen oder im Stau, und die waren alle genauso fertig wie wir. Das war das Jahr, in dem ich unbedingt am Literaturinstitut studieren wollte und nicht angenommen wurde. Und jetzt fahre ich in dieselbe Stadt, mit einem ICE, habe einen kleinen Koffer dabei, trage gute Kleidung. Ich setze mich in ein Taxi oder eine Straßenbahn, werde vielleicht sogar abgeholt. Auf einmal bin ich Herr Müllensiefen und nicht der Typ, der drei Meter weiter Kabel verlegt und für alle um sich herum unsichtbar ist. Dass das alles von einer Person durchlebt werden kann, würde mir schwerfallen zu glauben, hätte ich es nicht selbst erlebt.

Sie leiten auch immer wieder Workshops und andere Unterrichtsformate zum Thema kreatives Schreiben. Was wollen Sie vermitteln?

Lust am Schreiben. Motivation. Egal, ob mir junge oder alte Menschen gegenübersitzen: Ich möchte, dass sie an sich und ihre Texte glauben. Gerade erst hatte ich im Literaturhaus Magdeburg eine interessante Situation. Auf die Frage, ob sie lesen, haben sich nur zwei von fast 30 Kindern gemeldet. Das mag ernüchternd klingen, aber ich sage: Die anderen konsumieren auch erzählerische Inhalte, sie tun es nur in anderen Medien. Sie gucken sich Filme an, zocken Computerspiele, hören Hörspiele oder Podcasts. Und darauf muss man sich einlassen. Am Ende ist es für mich gar nicht so entscheidend, dass sie literarisch arbeiten, sondern dass sie Lust haben, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Ich will nicht bewerten, welche Medien sie konsumieren, sondern ich möchte Lust am Erzählen entfachen – in welchem Medium auch immer das stattfinden mag.

Was steht in den kommenden Monaten bei Ihnen an? Entwickeln Sie schon eine neue Romanidee oder konzentrieren Sie sich erst einmal auf etwas ganz anderes?

Ich arbeite an einer Idee, habe aktuell etwa zwölf Seiten. Gleichzeitig arbeite ich an der Verfilmung von ,Aus unseren Feuern‘, mit viel Glück wird daraus auch eine Serie. Ich bin nächstes Jahr Dozent an der Bayerischen Akademie des Schreibens. Es passieren gerade ganz viele Sachen gleichzeitig. Die letzten Wochen war ich nur drei, vier Nächte zu Hause. Ich genieße es gerade sehr, unterwegs zu sein, aber ich genieße es auch, zwischendurch einfach auf dem Sofa rumzuhängen.

Was möchten Sie angehenden Literaturschaffenden und Kreativen mitgeben?

Es ist ganz wichtig, dass man sich nicht von Angst und von Angstmachern einwickeln lässt. Es ist bei Weitem nicht so schlimm auf der Welt, wie uns das manche Menschen erzählen wollen. Aber es gibt auch viel, was noch besser gemacht werden kann. Dafür brauchen wir Menschen, die Energie haben. Ich habe zum Beispiel großen Respekt vor allen, die in der kommunalen Politik tätig sind. Ich wünsche mir, dass es etwas mehr Verständnis gibt und dass Menschen an der Gesellschaft teilhaben, dass wir einander in die Augen schauen und Meinungen aushalten, die anders sind als unsere eigenen.

Foto: Susanne Schleyer

Kostenfreie Veranstaltung zum Einsatz von KI am Dienstag, 26. November 2024,  in Halle (Saale) – heute letzte Chance zur Anmeldung!

Heute ist die letzte Möglichkeit, sich für die spannende Veranstaltung von Mittelstand-Digital Zentrum Leipzig-Halle rund um Künstliche Intelligenz (KI) im Mitteldeutsches Multimediazentrum anzumelden!

Wann?
Am 26. November 2024, 13 Uhr

Das erwartet euch:

  • Praxisnahe Vorträge zu KI und ihren Einsatzmöglichkeiten in Unternehmen
  • Hands-on Workshops, um Technologien direkt auszuprobieren
  • Networking mit anderen Unternehmerinnen und Unternehmern bei Snacks und Getränken

Barbara Lampl und weitere Expertinnen und Experten zeigen, wie KI Prozesse effizienter macht, Sicherheit gewährleistet und neue Chancen eröffnet.

Anmeldung nur noch heute, am 22. November 2024 möglich

Weitere Infos findet ihr unter folgendem Link: https://mittelstand-digital-leipzig-halle.de/

Foto: Kristin Mohr

Mit der Professional Media Master Class (PMMC) bietet Werkleitz ein Weiterbildungsprogramm im Bereich Dokumentarfilm für Film- und Medienschaffende in Mitteldeutschland an.

Jetzt können sich Interessierte für die PMMC25 bewerben. Unter Vorbehalt der Förderzusage realisieren von April bis Dezember 2025 zehn Film- und Medienschaffende aus Mitteldeutschland in Teams fünf dokumentarische Kurzfilme. Detaillierte Informationen gibt es am 11. Dezember 2024 via Zoom. Wer teilnehmen möchte, meldet sich per Mail an.

Werkleitz widmet sich der Unterstützung, Realisierung und Präsentation von Filmkultur und Medienkunst. Gegründet 1993 in Tornitz/Werkleitz und seit 2003 in Halle (Saale) ansässig, agiert der Verein mit Veranstaltungsformaten und Projekten lokal bis international.

Weitere Infos unter diesem Link: pmmc.werkleitz.de/bewerbung

In der neuen Folge unseres Podcasts „Geschmacksmuster“ blicken wir mit Modedesignerin Franka Skrabak zurück auf zehn Jahre voller Mut, Kreativität und Herausforderungen. Nach ihrem Studium an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle gründete Franka ihr eigenes nachhaltiges Label. Im Podcast für Kreative in Sachsen-Anhalt beschreibt sie, wie der Sprung ins kalte Wasser ihr Leben verändert hat.

Mit Moderator Steffen Jany spricht die kreative Hallenserin über die Höhen und Tiefen des Gründerinnenlebens, über ihre Vision einer nachhaltigen Mode und warum ihre Kleidung Menschen genau so schön macht, wie sie sind.

Foto: KNO