Prof. Dr. Marcel Lichters leitet den Lehrstuhl für Marketing an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Klassische Zahlen und PR-Strategien sind seinem Team und ihm zu wenig. Er blickt tief in die Psyche der Verbraucherinnen und Verbraucher, entlarvt die Zusammenhänge unseres Kaufverhaltens. Seine Ergebnisse sind wertvoll für Unternehmen und legen gleichzeitig die Tricks und Manipulationsversuche der Industrie offen. Im Interview spricht er über spektakuläre Forschungsprojekte, von der Beduftung von Zügen bis zum Koffein-Kaufrausch, von Zukunftsträumen und Heimatverbundenheit.
Herr Lichters, seit 1. Oktober 2023 leiten Sie den Lehrstuhl für Marketing an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Herzlichen Glückwunsch!
Danke. Die Stadt ist für mich ja nicht neu, ich habe an der Uni Magdeburg promoviert. Und ich bin ein Kind Sachsen-Anhalts. Daher freue ich mich sehr, zurück in meiner Heimat zu sein.
Was sind die Besonderheiten Ihres Lehrstuhls und welche persönliche Note wollen Sie ihm in der Zukunft verleihen?
Ich habe bei einem Marktforschungsinstitut in Göttingen und einer Unternehmensberatung in der Schweiz gearbeitet, daher ist mein Ansatz zwar wissenschaftlich fundiert, jedoch praxisorientiert. Einerseits bringen wir den Studierenden viele Methoden bei, die in der Marktforschung wertvoll sind. Andererseits können wir Unternehmen umfassend beraten – beispielsweise bei der Optimierung ihrer Produktpalette.
Bitte erklären Sie das genauer …
Wir können einem Limonadenhersteller sagen, mit welchen Geschmacksrichtungen er den begrenzten Platz optimal nutzt, den er im Supermarktregal hat. Das nennen wir den „Shelf Space“. Und wir zeigen den Studierenden, wie sie am besten die Markforschungstests auswerten, die darüber Auskunft geben.
Betreiben Sie auch Aufklärung von Konsumentinnen und Konsumenten?
Ja, das ist einer unserer Forschungsbereiche – auch Anwalt der Verbraucherinnen und Verbraucher zu sein und aufzudecken, wie durch Anordnung von Produkten, Farben oder Beduftung Kaufentscheidungen beeinflusst werden.
Beduftung?
Ja, besonders in Kaufhäusern und Hotels wird oft mit Düften gearbeitet. Diese sind aber meist so dezent, dass Kundinnen und Kunden sie nicht bewusst wahrnehmen. Wenn Sie zum Beispiel heiße Getränke verkaufen wollen, ist eine kalte Umgebung förderlich. Aber dann frieren Ihre Gäste. Daher wird eine solche Umgebung imitiert: Mit Farben wie Weiß und Hellblau, aber auch mit Hilfe von Düften. Pfefferminze und Eukalyptus etwa assoziieren wir mit Kälte, Vanille hingegen mit Wärme.
Für ein deutsches Personenbeförderungsunternehmen (lacht) haben wir beispielsweise erforscht, welche Beduftung für Züge die richtige sein könnte. Dabei fanden wir heraus, dass Reisende Gerüche bevorzugen würden, die möglichst entspannend wirken.
Gibt es noch andere Projekte mit ähnlich spektakulären Ansätzen und Ergebnissen?
Eines unserer interessantesten Forschungsgebiete ist die Schadensbezifferung in Plagiatsfällen und Markenrechtsverletzungen. Das klingt etwas trocken – ist es aber nicht. Werden bestimmte Produkte – meist Lifestyleartikel wie Mode oder Uhren – gefälscht, muss der entstandene Schaden wissenschaftlich beziffert werden. Und das ist gar nicht so einfach. Wir müssen nachweisen, wie viele Menschen potenziell gern ein Produkt des Originalherstellers hätten, sich aber wegen des Preises fürs Plagiat entscheiden würden. Bei unseren repräsentativen Umfragen kommen dann in erster Linie Marktforschungsmethoden zum Einsatz. Bei Gerichtsverfahren in den USA entscheiden unsere Ergebnisse dann oft über hunderte Millionen Dollar, das finde ich schon aufregend.
Waren Sie jemals versucht, ein unmoralisches Angebot aus der Wirtschaft anzunehmen und Ihr Wissen zur Konsumententäuschung einzusetzen?
(Lacht) Nein. Feste Jobangebote von Unternehmen bekommt man selten. Es kommt aber tatsächlich relativ häufig vor, dass Unternehmen mein Team und mich für Workshops einkaufen wollen. Oft sind das Hersteller von Elektrogeräten, die wissen wollen, wie sich ihre Produkte optimieren lassen.
Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft, welche Projekte planen Sie?
Wir haben sehr viele gute Ideen für Studien – aber oft nicht die entsprechende Finanzierung. Der Forschungssektor in Sachsen-Anhalt ist noch nicht so gut ausfinanziert wie anderswo. Ich würde gern wieder mit Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern arbeiten und die Thematik Koffein und Hormone bei Kaufentscheidungen genauer erforschen.
Wie wichtig sind innovative Forschungsprojekte und ein vitaler akademischer Betrieb für Ihre Universität, die Stadt Magdeburg und Sachsen-Anhalt?
Ich bin in Wernigerode geboren und wohne mit meiner Familie heute wieder im Harz. Ich fühle mich dem Bundesland tatsächlich sehr verbunden und habe mich über den Ruf der Uni Magdeburg sehr gefreut. Der Studierendenanteil in Magdeburg liegt bei zehn Prozent – das ist sehr wichtig. Denn eine lebendige Hochschulkultur macht die Region für junge Menschen attraktiv. Und das ist die Grundlage für unsere Zukunft.
Foto: Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg