Bilder, die so groß sind, dass man sich beim Betrachten geradezu darin verliert: Nora Mona Bach macht mit ihrer Kunst keine halben Sachen. Für ihre beeindruckenden Arbeiten wurde sie jüngst mit dem Kunstpreis des Landes Sachsen-Anhalt ausgezeichnet. Ein Gespräch über das Kunststudium an der Burg Giebichenstein, die Grenzen, Herausforderungen und Möglichkeiten der Kohlezeichnung – und wieso künstlerische Bildung schon im Kindesalter wichtig ist.

Wie sind Sie mit Kunst in Berührung gekommen?

Nora Mona Bach: Den Anfang hat mein Vater gemacht: Wir hatten immer etwas zum Zeichnen dabei, das war Teil unserer gemeinsamen Zeit als Familie. Es war wichtig sich Zeit zu nehmen, genau hinzuschauen und offen dafür zu bleiben, Dinge zu sehen. In der Schule war ich im Kunst-Leistungskurs, weil ich schnell verstanden habe, dass die Bildende Kunst mir als Sprache liegt. Ich habe mich damals schon vor dem Abi an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein beworben – und wurde direkt beim ersten Versuch angenommen.

Heute sind großformatige Kohlezeichnungen Ihr Alleinstellungsmerkmal – dabei arbeiten Sie nicht mit Kohlestücken oder -stiften, sondern mit Reißkohlepulver. Warum ausgerechnet dieses Medium?

An der BURG habe ich mich viel mit Lithografie, dem Steindruck, beschäftigt. Schon da habe ich viele sehr dunkle Arbeiten angefertigt und gerne mit großen Flächen in Schwarz, Weiß und Grau gearbeitet. Lithografie ist ein sehr komplexes Handwerk und absolut werkstattgebunden: Man kann zeichnerisch und malerisch in verschiedenen Ebenen Farben oder Grauwerte aufbauen. Der Druckprozess wird von einem beinahe alchemistischen Vorgang begleitet, man benötigt Wissen und Kraft. Diese Arbeitsweise kam mir sehr entgegen – aber man ist immer auf die Steingröße beschränkt. Die klassische Kohlezeichnung mit Kohlestücken war für mich keine Alternative. Damit kann man zwar von Weitem eine schöne, brachiale Wirkung erzeugen, aber von Nahem wirken diese Zeichnungen auf mich immer ein wenig spröde und ausgefranst. Eher zufällig habe ich dann das Reißkohlepulver für mich entdeckt und habe angefangen, damit zu experimentieren.

Was macht die Arbeit mit Reißkohlepulver so spannend?

Die Kohle ist in dieser Form sehr vielfältig. Man kann sehr feine Grauwerte erarbeiten. Mit Wasser angerührt lässt sich die Kohle fast wie Tusche verwenden, in Pulverform kann man sie flächig auf- und sehr kontrolliert wieder abtragen. Damit kann ich Arbeiten anfertigen, die wie doppelbelichtete Fotos wirken, strukturreiche Malereien oder feine Aquarellzeichnungen. Und in der Arbeitsweise kommt hinzu: Solang man kein Fixiermittel verwendet, bleibt das Pulver in Bewegung, die Flächen sind verletzlich und steuerbar. Das ist natürlich auch eine Herausforderung, kommt meiner Arbeitsweise aber sehr entgegen.

Was inspiriert Sie zu Ihren oft mehrere Meter großen Zeichnungen?

Diese großen Formate machen einen ganz eigenen Erlebnisraum auf. Wenn man vor einem Motiv steht, das größer ist als man selbst, das fast wie eine Bühne das gesamte Sehfeld einnimmt – diesen Moment schätze ich sehr. Aber es ist auch inhaltlich spannend. Ich begegne zum Beispiel immer wieder der Frage, ob meine Motive Landschaften sind. Wir Menschen neigen ja dazu, in allem, was ein bisschen abstrakter ist, nach Dingen zu suchen, die wir wiedererkennen. Das gilt auch für meine Arbeiten. Manchmal spielt aber auch die Freude am Material die größte Rolle. Man kann die Kohle so dicht aufs Papier aufbringen, dass sie fast erdig wirkt. Das ist für mich auch ein Gegenentwurf zu den glatten und oft digitalen Flächen, auf denen sich unser Leben immer mehr abspielt. Denn: Wer mit Reißkohlepulver zeichnet, wird dreckig. Da rieselt immer Material ab. Das ist schon etwas anderes als NFTs und Renderings. Es ist aber auch ein Gegengewicht zu Objekten des Alltags, die nicht direkt mit Kunst zu tun haben, aber unser ästhetisches Umfeld in der Post-Postmoderne bilden, zum Beispiel Smartphones, Kunstschalungen, Autolack oder Herdoberflächen, die man nur noch mit Fingertippen bedient. Kohle ist zudem ein sehr ursprüngliches Material und bietet gerade deshalb einen spannenden Kontrast.

Kann Kunst also auch einen Einfluss auf größere gesellschaftliche Prozesse haben?

Ja, denn Kunst ist ein wunderbares Medium, um sich selbst zu erleben und zu lernen, sich auf neue Themen einzulassen. Ich glaube aber, dass die Sensibilisierung für Kunst schon im Kindesalter stattfinden sollte. Im Moment wird Kunst und Kunstpädagogik vor allem von Menschen konsumiert, die die finanziellen Mittel dazu haben. Da geht noch viel mehr. Ich erlebe das auch immer wieder selbst: Ich engagiere mich im Künstlerhaus 188, einer Begegnungsstätte für Kunstschaffende und Kunstinteressierte in Halle an der Saale. Wenn wir dort Besuch von Schulklassen aus Brennpunktschulen bekommen, schlackern den Kindern regelrecht die Ohren. Da können sie oft zum ersten Mal frei von den wahrscheinlich notwendigen Zwängen eines schulischen Settings gestalterisch tätig werden, ohne dass sie links und rechts andere Kinder mit den Ellbogen anstoßen. Viele der Kinder und Jugendlichen erleben sich völlig anders: Sie trauen sich Dinge zu, fühlen Selbstwirksamkeit, nehmen neue Rollen ein. Solche Räume, die Kunst für alle erlebbar machen und Zugänge zur Kunst schaffen, brauchen mehr Unterstützung! 

Welche Rolle spielen externe Faktoren für Ihre Kunst?

Ganz grundlegenden Einfluss hat mein Arbeitsraum: Wenn ich mehr Platz habe, vor allem mehr Wandfläche, kann ich auch großflächig arbeiten. Ich stelle immer wieder fest, dass ich diese Großzügigkeit brauche, sowohl in meinen Arbeitsräumen als auch im Umgang mit dem Material. Und ich bringe natürlich emotionale Eindrücke mit in meine Arbeit. Sie ist ein Konglomerat aus allem, was ich sehe und erlebe.

Wie sieht Ihr Arbeitsprozess aus? Wie wird aus Ihrer ersten Idee ein fertiges Kunstwerk?

Zunächst muss ich mir selbst im Prozess zwei sehr konkrete Fragen beantworten. Erstens: Wie groß ist das Endformat, wie viel Papier muss ich also zuschneiden? Zweitens: Wie viel Dunkelheit lege ich von Anfang an fest? Kompositorisch sind damit zwei wichtige Entscheidungen schon getroffen. Der Rest passiert im Prozess: Ich fange mit einer Grundstimmung an. Große Arbeiten liegen am Anfang auf dem Boden. Da briinge ich das Reißkohlepulver großflächig aufs Papier. Das ist eine sehr körperliche Arbeit, ich trage eine FFP3-Maske zum Schutz vor Kohlestaub und Fixativ und benutze einen großen Saalbesen, um das Kohlepulver zu verteilen. Dann fixiere ich diese ersten Flächen und kann das Bild an die Wand hängen. An der Wand sehe ich die Arbeit aus einer ganz anderen Perspektive, kann zum Beispiel zurücktreten und die Grundkomposition auf mich wirken lassen. Ich arbeite meistens an mehreren Bildern gleichzeitig, weil es mir guttut, zwischendurch Abstand zu gewinnen. Es kommt auch vor, dass ich Bilder, die schon an der Wand hängen, um 180 Grad drehe und damit weiterarbeite. Großzügigkeit, Flexibilität und Gelassenheit sind wichtige Begleiter, wenn man den Zufall freundlich beherrschen möchte und sich gegen Vorskizzen entscheidet.

Sie haben jüngst den Kunstpreis des Landes Sachsen-Anhalt gewonnen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Das kam für mich sehr überraschend. Der Kunstpreis wird sonst vor allem für Lebenswerke vergeben, inzwischen immer abwechselnd für Lebenswerke und für Künstlerinnen und Künstler, deren Arbeiten jetzt gesehen werden sollen. Darum wird er in meinem Fall auch als Förderpreis bezeichnet. Die Auszeichnung ist schon ein kleiner Ritterschlag. Menschlich ist es auch schön, weil man sich nicht auf den Preis bewerben kann: Dass ich ausgezeichnet wurde bedeutet also auch, dass meine Arbeit wahrgenommen wird. Wenn ich am Anfang unseres Interviews erwähnt habe, dass die Kunst mir früh im Leben als Sprache taugt, ist es nun eine große Ehre, dass meine Sprache auch bei anderen auf Resonanz trifft. 

Vom 15. Mai bis 9. Juni 2025 stellen Sie Ihre Arbeiten im Volkspark Halle aus. Worauf können sich Besucherinnen und Besucher besonders freuen?

Für meine Preisträgerinnenaustellung bietet der Volkspark zwei sehr große schöne Ausstellungsräume. Dort habe ich nicht nur großzügige Wandflächen, sondern auch viel Platz im Raum zur Verfügung, das verleitet zum Spiel. Ich möchte dort zum Beispiel meine Arbeit „GLIMMEN – Unland-Triptychon“ (Gesamtmaß 370 x 960 cm) zeigen, die innerhalb des Arbeitsstipendiums 2016 der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt entstanden ist. Sie besteht aus vier Teilen und ist so groß, dass ich sie nicht oft ausstellen kann. Ich habe auch Zeichnungen, aus denen einzelne Teile wie Cut-outs heraussplittern, die also nicht nur in klassischen rechteckigen Bildbegrenzungen arbeiten, sondern in den Raum hinein reichen. In den großzügigen Räumen der Burg Galerie im Volkspark kann man sehr nah an die Kunst herantreten, aber auch sehr weit weggehen und sich so in den Bildern verlieren. Außerdem wird es ein Rahmenprogramm geben mit Künstlerinnengespächen und Einblicken in die Produktion von Künstlerkatalogen. Anlass ist hierfür das Erscheinen meines Kataloges Metamorphit im MMKoehn Verlag aus Leipzig. Das Kunstbuch ist ein besonderes Medium, schafft Sichtbarkeit und Wertschätzung und ist ein ganz intimer Raum, der meine großformatigen Arbeiten in Form eines Buches auffängt. Es warten also nicht nur künstlerische Arbeiten, sondern auch andere Impulse!
Außerdem wird es natürlich eine wunderbare Eröffnung geben.

Mehr zu Nora Mona Bach erfahren Sie auf https://nora-mona-bach.com/. Mehr Informationen zum Künstlerhaus 188 gibt es auf https://www.kuenstlerhaus188.de/

Aktuelle und kommende Ausstellungen von Nora Mona Bach:

MADONNEN – zeitgenössische Madonnenbildnisse
30.November 2024 – 4. Januar 2025
Galerie Paul Scherzer, Halle (Saale)

Spinnereirundgang 11./12. Januar 2025
Spinnerei Leipzig

Nora Mona Bach | METAMORPHIT

6. März – 26. April 2025

Galerie Born, Berlin

Foto: Linda Grüneberg